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Geschichten dahinter

Abenteuer Amazonas -

   Teil 1: Schlafen 

 

Ich bin kein grundsätzlicher Gegner von Hängematten. Zwei Erfahrungen habe ich bislang gesammelt, eine unerfreuliche und eine angenehme: die erste in einer leeren Kirche in Nordbrasilien, zusammen mit zwei ganz bösen Schnarchern, so dass ich kein Auge zutun konnte; aber das lag eher an den beiden hemmungslosen Zeitgenossen, und nicht an der Schlafgelegenheit. Die zweite Erfahrung dagegen: wunderbar. Unter einem Schilfdach auf einem Bootssteg. Herrliche Luft, kaum ein Moskito, und ich falle mittlerweile auch nicht mehr aus der Matte, wie beim ersten Mal. Alles in allem bin ich langsam auf dem Weg zum Profi, und nehme die Information über unsere nächste Unterbringung – „Amazonasfähre, alles schläft in Hängematten“ – mit gelassenem Lächeln auf.

 

Wir besteigen die „Monte Sião“ in Santarém. Ein feines Boot, zweistöckig und liebevoll weißblau gestrichen. Als wir uns einschiffen, sind die Plätze oben belegt, und wir wählen die letzten Plätze auf dem Unterdeck. Ich muss gestehen: es ist das erste Mal, dass ich meine Hängematte auf einem Boot befestige, und muss mich schon zu Beginn wundern. Als ich noch dabei bin, das Stück Stoff aus dem Rucksack zu nehmen, und mir einen Schlachtplan zu machen, sind alle anderen schon fertig. Demzufolge sind 50 Augenpaare auf mich gerichtet, als ich mit dem Verknoten der Kordel an dem Metallrohr beginne. ‚Dreifach hält besser’, denke ich, und verknüpfe die Kordel kunstvoll in einem Wust von Schlingen und Schlaufen. Dass die Hälfte meiner Mitreisenden bereits tuschelt und lächelt, kann mich nicht anfechten. Ich ziehe das Ende der Matte zur anderen Seite, und man sieht schon im Ansatz: so wird das nichts! Die Matte hängt so weit durch, dass ich auch gleich auf dem Boden schlafen könnte. Die Leute toben!

 

Verflucht noch eins, wer hat mir eigentlich dieses Monster von einer Hängematte eingepackt? Rechts und links von mir: dezente, hauchdünne Designermatten, und dazwischen ich mit diesem Albtraum in weiß-rot, mit Häkelarbeiten an den ausufernden Rändern. Wahrscheinlich stammt sie aus einem Palästinenserlager. Meine Matte, in Quadrate zerschnitten, würde die halbe PLO mit Arafat-Kopftüchern versorgen. In Wirklichkeit handelt es sich weniger um eine Matte, als um ein Hänge-Zelt. Noch schlagen sich die Brasilianer auf ihre Schenkel, als ein grinsender Passagier, ohne mich anzuschauen, ungefragt das Knotenknäuel entwirrt und mir, dem Gringo, zeigt, wo es langgeht. Der Mann braucht nicht mal einen Millimeter Kordel! In zwei Sekunden hat er das Ende meiner Matte um die Metallstange geschlagen, den dicken Schlauf ein einziges Mal durchgezogen, und fertig! Desgleichen auf der anderen Seite, und in zehn Sekunden hängt meine Palästinensermatte wie alle anderen.

 

Ein paar eiskalte 0,66-Liter-Flaschen Bier später, und die Horden von Menschen begeben sich zur Nachtruhe, es ist 21:00 Uhr. Ich bin noch gar nicht müde, aber das Licht wird ausgemacht, und was soll man alleine anstellen auf einem Amazonasschiff? Und so beschließe ich, ebenfalls ins „Bett“ zu gehen. Dann werde ich morgen eben besonders ausgeruht sein, wenn es weiter geht. Ich lege mich hinein, und treffe auf Anhieb jene optimale Querlage, die es Profis ermöglicht, selbst in eigentlich durchhängenden Schlafgelegenheiten weitgehend waagerecht zu liegen. Vorbei die Zeit, als man selbst zentriert in diesem Kokon lag, und aussah wie ein Klappmesser. Ich bin jetzt geradezu zufrieden mit mir und meiner Situation.

 

So liege ich da und starre in die tiefschwarze Nacht, unter mir rauscht der Amazonas vorbei und ich genieße den leichten Fahrtwind, der eine dringend benötigte Abkühlung bringt. Ein weiterer erfreulicher Umstand ist der gleichbleibende, dumpfe Diesel-Motor der „Monte Sião“: in diesem maschinellen Getucker wird das ganze Orchester menschlicher Nacht-Geräusche untergehen. Ob jemand schnarcht, kann mir vollkommen egal sein. Ich beginne mich wohl zu fühlen. Eine Nacht in einer Hängematte auf einem Amazonasschiff kann man dringend weiterempfehlen, denke ich, und gleite langsam in eine wohlige Müdigkeit hinüber. Sie wird von den kaum merklichen Schwingungen der Matte auf das Angenehmste unterstrichen. Dieses Wohlbefinden dauert lange an, sehr lange.

 

Bis ich mich irgendwann frage, warum ich nicht einfach einschlafe! Die Antwort: der Wind hat aufgefrischt. Merklich aufgefrischt. Aus dem leichten Schwingen ist ein Auf- und Ab geworden. Ich stelle mir vor, wie das hier in einem Sturm wäre, wenn die Leute gegeneinander schlagen, und muss mit geschlossenen Augen lächeln, über meine Phantasie in dieser lauen Amazonas-Nacht. Dennoch steht fest: es schaukelt jetzt gewaltig, und ich kann nicht einschlafen. Meine Armbanduhr hat für solche Momente eine Beleuchtungstaste: 22:15 Uhr. Es ist ja noch früh, und wenn der Wind nachlässt, habe ich immer noch genug Zeit zum Ausruhen... Um 22:41 Uhr lässt es sich nicht mehr leugnen: der Wind hat im Gegenteil zugenommen.

 

Offenbar bin ich in meiner Palästinenser-Matte der einzige Mensch, der daran Anstoß nimmt. Rechts und links und mit Sicherheit auch oben im zweiten Stock wird fleißig geschlafen. 23:11 Uhr: ich habe meinen rechten Nachbarn touchiert! Nur ein Hauch von Reibung zwar, aber ich bin gewarnt. In dieser Situation hast du grob gesehen zwei Möglichkeiten: du starrst in die Nacht oder auf deine schwingenden Nachbarn, und verspielst die Chance, vielleicht doch zwischendurch eine Minute lang wegzudösen. Oder – du schließt die Augen und lässt dich fallen. Leider ist es dann so, dass du stets das Gefühl hast, wie gerade jetzt, dass der Wind zum Sturm wird. Man bildet sich Dinge ein, malt sich völlig abwegige Szenarien aus, und öffnet die Augen, wie jetzt. 23.33 Uhr: es ist ein Sturm!

 

23:39 Uhr: rechter Nachbar hat mich am Arm getroffen. 23:42 Uhr: ich knalle gegen das Gesäß meines linken Nachbarn, der ein Stück über mir hin- und herschwingt. 23:42: rechts. 23:44: rechts. 23:45: links. 23:46 rechts, links, rechts, rechts. Es ist ausgemacht: in dieser Nacht werde ich kein Auge zutun. Wenn man sich einmal entschlossen hat, diesen Satz zu denken, wird man automatisch ruhiger, und kann die Geschehnisse um so vorurteilsfreier analysieren. Da ist zunächst mal mein Hängezelt. Durch seine Unförmigkeit ist es das primäre Ziel jeder einzelnen Böe. Über die anderen Matten wehen sie hinweg, weil sich keine Angriffspunkte bieten, meine hingegen bläht sich jedes Mal rappzapp auf wie ein Segel.

 

Und jetzt kommen dazu auch noch die Wellen auf dem Fluss. Nicht so kleine Pieseldinger, sondern ausgemachte Wellen, wie auf einem Ozean. Nur gut, wenn man wie ich realistisch bleibt, und nicht gleich in Panik gerät. Ich habe viel Zeit, das Spiel der Naturgewalten mit den 49 dezenten Matten und meinem Hängezelt zu beobachten. Es ist ja nicht so, dass ich der einzige wäre, der wie ein Irrer hin- und herpendelt.. Auch die anderen schwingen: nach rechts, nach links. Nach rechts, nach links. Nach rechts, dann nur bis zur Mitte, und man weiß schon, was das bedeutet: jetzt mit einem Affenzahn nach rechts außen. Alle machen dieses Spielchen mit, aber  meine Matte fällt eben einfach total aus dem Rahmen. Die Brasilianischen Matten schwingen, meine wird geschleudert. Am toten Punkt steht die Matte still, und mein Herz auch. Achterbahn ist dagegen eine Entspannung. Entweder jemand hat mir in böser Absicht diese Missgeburt einer Matte in den Rucksack gestopft, oder die Palästinenser haben keine Ahnung.

 

00:05 Uhr: alle schwingen gerade wieder ein wenig vor sich hin, und ich gerade wieder einmal sehr heftig, als mir eines klar wird: ich darf jetzt keinen Fehler begehen. Sich unüberlegt umdrehen, nur weil das linke Bein eingeschlafen ist? So etwas machen höchstens Anfänger und riskieren, in hohem Bogen durch das Boot geschleudert zu werden. Oder auch gleich ins Wasser... Und niemand würde etwas mitbekommen... Ich weiß, ich weiß, das ist dermaßen unwahrscheinlich, ja geradezu ausgeschlossen. Denn wenn Menschen unter normalen Umständen aus ihren Matten fallen, dann plumpsen sie schroff auf den Boden. Und selbst in meinem Fall (auf Passagierschiff im Orkan) reicht es ja selbst im ungünstigsten Fall (Sturz aus der Matte exakt kurz vor dem toten Punkt) höchstens zu Bogenflügen nach rechts respektive links. Niemals nach hinten oder nach vorn, Richtung tobendes Meer! Physikalisch unmöglich.

 

Dennoch: man sollte kein Risiko eingehen. Vorsicht ist die Mutter der Palästinenser-Matte. Man kann es ja auch so sehen: wenigstens das linke Bein schläft! Nein, nein, man neigt in Ausnahmesituationen wie dieser immer stärker zu höhnischem Fatalismus, und sollte einen klaren Kopf bewahren. Infolgedessen lasse ich die Körper-Kollisionen an mir einfach abprallen. Alles eine Frage der inneren Einstellung. Mein linker Nachbar zum Beispiel, der in der etwas oberhalb von mir schwingenden Matte, ist das Idealbild eines geradezu buddhistischen Hängemattenschläfers. Nichts kann ihn aus der Ruhe bringen. Gar nicht! Nicht das Schaukeln, nicht diese furchtbaren Stöße, manchmal denke ich, er ist tot. Nein wirklich: liegt da, und rührt sich kein Fitzelchen. Nicht mal seine Arme. Auf ihn jedenfalls – (gesetzt den Fall, dass es zum Äußersten käme und ich in den Fluten lande) – auf diesen Oberpenner jedenfalls kann ich nicht bauen. Er würde weiterschlafen, wenn das ganze Schiff untergeht. Dieser Gedanke amüsiert mich nach längerer Zeit so, dass ich zu lächeln beginne! Es ist 00:17 Uhr, und ich kann noch lächeln!

 

Währenddessen schwingt die leblose Mumie ihr spitzes Gesäß mit affenartiger Geschwindigkeit über mein Gesicht. Wie eine waagerechte Guillotine; man hebt den Kopf, und er ist ab. Unterm Strich jedenfalls – es reicht jetzt! Das Bein eingeschlafen, dreiviertel des Körpers aber nicht, man kann sich nicht rühren, den Kopf nicht heben, den Arm nicht ausstrecken, bekommt blaue Flecke am ganzen geschundenen Körper, draußen tobt der Orkan und mein Palästinenserzelt ist ein Windfang ohne gleichen. Man kann nur hoffen, dass der Kapitän in seiner unbeleuchteten Brücke genauso wach ist wie ich. Ich sehne mich nach dem Morgengrauen.

 

Was stattdessen geschieht: Man hört laute Stimmen von der Brücke, dann eine Schiffsglocke, dann den Motor, wie er hurtig auf Rückwärtsgang umstellt, und dann hebt sich das ganze Schiff gewaltig an. Es knirscht, es dröhnt, und dann ist einige Sekunden lang Stille. Wir sind auf eine Sandbank gelaufen, ohne Witz. Der Kapitän war auch eingeschlafen, und ich der einzige Lebende an Bord.

 

Um es kurz zu machen: der Rückwärtsgang bringt einen feuchten Kehricht, wir stecken fest für alle Zeiten. Ein anderes Boot wird gerufen, und es kommt dann auch nach einer Ewigkeit. Es ist nicht so propper wie die „Monte Sião“, und heißt „Gabriel“. Es ist genau so breit und genau so lang wie unser gestrandetes Mutterschiff, aber das Fatale ist: die Gabriel ist einstöckig. Flach wie eine Flunder. Trotzdem ziehen wir um: das ganze Schiff! Mit Hunden und Tüten und Koffern und Kartoffelchipssäcken und Kästen voller gackernder Hühner. Und dann wird es mir klar, wie meine nähere Zukunft aussieht. 99 normale Hängematten und ein Palästinenserzelt auf engstem Raum, mir schwant böses, und ich soll recht behalten...

 

 

Wie gesagt: ich bin kein grundsätzlicher Gegner von Hängematten. Man muss sich nur verflucht genau überlegen, ob man sich auch rein legt.









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